Die Schnapsdrossel spricht dem Schnaps zu

Destillat der Sprache – Gibt es Vögel, die zu viel trinken?

Woher kommt eigentlich der Begriff "Schnapsdrossel"? Sollte es tatsächlich Drosseln geben, die gerne Schnaps trinken? Oder zumindest anderen alkoholischen Getränken zugeneigt sind? Und selbst wenn - führt dies zu einemm tieferen Verständnis von Redewendungen wie "Herr Meier* ist aber auch eine Schnapsdrossel…"? Fragen über Fragen, die selbst bei klarem Kopf nicht einfach zu beantworten sind. Deswegen hier erst einmal eine kleine Übersicht:

Lassen Sie sich berauschen von den nachfolgenden Zeilen zur Schnapsdrossel!

Ist das Huhn hier das Ei des Kolumbus?

Schauen wir tief ins Glas und gehen der Sache auf den Grund. "Ein blindes Huhn findet auch mal einen Korn." Kann dieser Erfahrungswert weiterhelfen? Erste Anhaltspunkte sind da, denn das Huhn ist blind - so sagt es zumindest diese Redewendung.

Wer im Chemieunterricht aufgepasst hat, weiß, dass selbstgebrannter Schnaps zur Erblindung führen kann. Ursache ist das giftige Methanol, welches durch einen fehlerhaften Destillationsprozess entsteht. Ein einziges "M" ist hier entscheidend. Denn der "gute" Alkohol ist das Ethanol.

Der oder das Korn, ist hier die Frage

Der Korn und das Korn unterscheiden sich mit keinem Buchstaben. Nur der vorangestellten Artikel verrät, ob die flüssige oder die körnige Variante gemeint ist. Und selbst da sind die Übergänge - um im Wortspiel zu bleiben - fließend. Denn aus den Körner von Roggen, Weizen und Gerste wird das Getränk gebrannt, mit dem die Bauern später auf die Getreideernte anstoßen. Das Korn ist der Grundstoff für den Korn.

Eine Schnapsdrossel blickt in eine Schnapsflasche
Wie ist die Schnapsdrossel zu ihrem Namen gekommen?

Überall Querverbindungen und Zusammenhänge. Aber reicht das, um den Ursprung der Schnapsdrossel zu ergründen? Zweifel sind angebracht. Aufmerksame Leser haben sicher auch längst bemerkt, dass es oben "…findet auch mal ein Korn" hätte heißen müssen. Das ist in der Tat richtig.

Google: Trend zu harten Getränken

Die Bildersuche bei Google zeigt jedoch einen deutlichen Gegentrend, hin zu dem Korn. Da sieht man zu dieser Redewendung nicht wenige Hühner mit Kornflaschen. Von der Verballhornung "Auch ein blindes Huhn trinkt mal einen Korn" ganz zu schweigen.

Ornithologisch Kundige werden allerdings ein weiteres Argument in Stellung bringen. Hühner gehören einfach nicht zur Familie der Drosseln. Dagegen lässt sich wenig sagen, und auch die Gentechnik hilft hier nicht weiter. Sehen wir ein, dass bei der Schnapsdrossel das Huhn nicht des Pudels Kern ist.

Goethe darf nie fehlen!

Mit diesem Zitat des Dichters und Universalgelehrten Goethe wird übergeleitet zum wissenschaftlichen Part unser Betrachtungen zur Schnapsdrossel. Ob sich Goethe auch zur Schnapsdrossel geäußert hat, weiß der Verfasser dieser Zeilen nicht. Im Wirtshaus an der Lahn, wo der Dichterfürst ab und an auf der Durchreise einkehrte, wird er sicher einige Exemplare gesehen haben. Sprachwissenschaftliche Untersuchungen zur Schnapsdrossel scheinen von ihm jedoch nicht bekannt zu sein.

Fachwissen kann helfen...

Geäußert hat sich jedoch Prof. Dr. Josef H. Reichholf in seinem 2014 erschienenen Buch "Ornis - Das Leben der Vögel". Dort führt der Zoologe und Ornithologe auf Seite 171 aus, dass Vögel große Mengen Alkohol vertragen. Und in der Tat sind es unter anderem Drosseln, die im Herbst gerne überreife Beeren fressen, die durch Gärung und ersten Frost alkoholisch geworden sind (sog. Trockenbeeren).

Die Vögel vertilgen so viele Beeren, dass sie nach menschlichen Maßstäben längst eine schwere Alkoholvergiftung haben müssten. Doch weit gefehlt: Den Flattermännern macht dies nichts aus. Sie fliegen fröhlich davon, und das bei einer Blutalkoholkonzentration, mit der Menschen allenfalls noch auf die Nase fliegen könnten. Möglich macht dies eine extrem leistungsfähige Vogelleber, die Alkohol sehr schnell in großen Mengen abbauen kann.

Die perfekte Schnapsdrossel also. Da wird so mancher Schluckspecht neidisch. Das Sprachrätsel ist gelöst. Oder doch nicht?

...jedoch nicht immer.

Ich habe Zweifel. Denn wie kann die echte Schnapsdrossel den Begriff "Schnapsdrossel" prägen, wenn man ihr die Beschwipstheit gar nicht ansieht? Die Drosseln trinken ja sozusagen heimliche und lassen sich ihr Laster nicht anmerken!

Dies untermauert eine Recherche bei YouTube, wo man bekanntlich zu allem möglichen und unmöglichen Filmmaterial findet - betrunkene Vögel in herbstlichen Beerensträuchern sind jedoch nicht dabei. Und da kann man sich heute sicher sein: Wenn es sie gäbe, hätte irgendjemand sein mobiles Endgerät gezückt und die Szene auf den Speicherchip gebannt.

Gehen wir es cineastisch an

Denn schon 1974 konnten wir in dem Film "Die lustige Welt der Tiere" sehen, wie diese in Afrika vergorene Früchte des Marula-Baumes fressen und danach betrunken durch die Steppe torkeln. Ganz überwiegend sind es Affen, die sich da – nun ja – zum Affen machen. Bemerkenswert: In dem Film mit den betrunkenen Tieren sieht man nur kurz einen Strauß, der etwas schwankend schreitet. Ansonsten sind keine beschwipsten Vögel zu sehen. Nix mit Schnapsdrosseln. (Wer selbst schauen möchte: Hier geht es zu einem kleinen Ausschnitt auf YouTube. Viel Spaß!)

Also wieder keine belastbare Erkenntnisse. Der Schnaps und die Vögel, ein schwieriges Thema. Durchaus launig hingegen ist der Eintrag zur Schnapsdrossel in der Stupidedia. Im Stil von Wikipedia gehalten, bezeichnet sich die Stupidedia als freie Humor- und Satire-Enzyklopädie.

Dort wird vermerkt, dass die Schnapsdrossel erstmals lange vor Christi Geburt in Mesopotamien gesichtet worden sein soll, kurz nachdem die ersten primitiven Brauverfahren entwickelt wurden. Dies kann eine Erklärung sein, muss es aber nicht.

Es wird sprachhistorisch

Wie so oft, die Wahrheit liegt in der Mitte. Womit hier das 10. Jahrhundert gemeint ist, eine Zeit, zu der in unseren Breiten noch Mittelhochdeutsch gesprochen wurde. Und dort im Wortbestand wird man fündig. Das mittelhochdeutsche Wort "druzzel", aus dem dann später die "Drossel" wurde, bezeichnete seinerzeit die Kehle oder Gurgel. Wurde selbige regelmäßig mit Schnaps geölt, wurde aus der Drossel die Schnapsdrossel.

Dass der Begriff "Drossel" einmal die Bedeutung "Kehle" hatte, zeigt sich auch noch in der heutigen Sprache. So ist "erdrosseln" auch noch als Synonym für "erwürgen" bekannt. Und wo wir gerade beim Töten sind: In der Jägersprache hat sich das Wort "Drossel" bis heute mit dieser alten Bedeutung gehalten. Hier wird die Kehle von Schalenwild (Hirschen, Rehen, Wildschweinen) als "Drossel" bezeichnet.

Ob eine antiquierte Sprache auch zu rückständigen Ansichten führen kann, mag sich hier jeder selbst überlegen. Jedenfalls dürfte in Jägerkreisen die Herleitung des Begriffes "Schnapsdrossel" wohl nicht so langwierig wie hier gewesen sein. Zumal zum Waidmann traditionell auch der Flachmann gehört - was aber wiederum nicht heißt, dass alle Jäger Schnapsdrosseln sind.

Zum Abschluss: Schnapsdrosseln sind gesellige Vögel und nicht gerne alleine. Besonders freuen sie sich, wenn sie auf eine lustige Runde Schluckspechte treffen - auch zu diesen Vögeln gibt es einen launigen Text. Einfach ´mal auf den Link hüpfen!



* Keine Feier ohne Meier!