Eine Amsel sitzt in den Beeren, eine Amsel sitzt in der Hecke im Schnee

Umstritten: Ganzjahresfütterung von Wildvögeln

Im Winter füttern viele Menschen oft und gerne die Garten- und Wildvögel, insbesondere dann, wenn Eis und Schnee die Natur bestimmen. Aber ist es sinnvoll, die Vögel während des ganzen Jahres zu füttern oder eben nur zur Winterzeit? Über diesen Gegenstand der „Ganzjahresfütterung“ herrscht geteilte Meinung unter den Vogelliebhabern. Es gibt sowohl Befürworter als auch Gegner der Ganzjahresfütterung.

Einig ist man sich darüber, dass im Winter, insbesondere bei strengem Frost und einer dicken Schneedecke, eine Zufütterung bei Vögeln hilfreich und sinnvoll ist. Fehlende Nistmöglichkeiten, schwindende Lebensräume und die stetige Abnahme der Nahrungsgrundlagen für Singvögel durch menschliche Eingriffe in die Natur machen es erforderlich, hier nicht nur von der Natur zu nehmen, sondern auch der Natur – zumindest zeitweise – etwas zurückzugeben.

Braunkohle-Tagebau in Hambach (Nordrhein-Westfahlen), mehrere Abbauschichten mit Schaufelradbaggern
Kaum Nahrung für Vögel - Braunkohle-Tagebau in Hambach (Nordrhein-Westfalen)

Für die Zeit nach dem Winter gehen die Meinungen jedoch auseinander. Damit jeder sich selbst einen Überblick über die unterschiedlichen Ansichten pro und contra der „Ganzjahresfütterung“ mit ihren jeweiligen Argumenten machen kann, haben wir nachfolgend eine kleine Übersicht dazu erstellt.

Argumente für die Ganzjahresfütterung:

Für eine Ganzjahresfütterung spricht sich vor allem der bekannte Ornithologe Peter Berthold aus. Er führt den Titel „Prof. Dr. rer. nat.“ und war bis 2004 Direktor der Vogelwarte Radolfzell am Bodensee, welche einen Teil des Max-Planck-Institutes für Ornithologie bildet. Prof. Berthold gehört zu den weltweit führenden Ornithologen und engagiert sich seit seiner Emeritierung v.a. für den Naturschutz. Insbesondere ist er als Stiftungsrat in der Heinz-Sielmann-Stiftung und im Biotopverbund Bodensee tätig.

Seiner Ansicht nach ersetzt eine artgerechte Ganzjahresfütterung auf Stadtbalkonen oder auch in Gärten durch Vogelfreunde nur einen kleinen Teil der Nahrung, die die Vögel vormals auf den heimischen Feldern vorfanden. Seine jahrelangen Forschungen auf diesem Gebiet und sein Studium der jahrzehntelangen wissenschaftlichen Untersuchungen in England, dem Ursprungsland des Vogelschutzes, ergaben, dass eine Vogelfütterung rund ums Jahr zu einem erhöhten und qualitativhochwertigeren Bruterfolg bei Vögeln führt.

Folgende fünf Thesen stellt Prof. Dr. Berthold und die Heinz-Sielmann-Stiftung, deren Leitsatz „Naturschutz als positive Lebensphilosophie lautet, dazu auf (Quelle: Heinz Sielmann Stiftung - Vogelfütterung rund ums Jahr)

  • Die artenreiche heimische Vogelwelt ist sehr in Mitleidenschaft gezogen worden und weist einen erheblichen Artenschwund auf.
  • In ausgeräumten und landwirtschaftlich intensiv genutzten Landschaften wie auch in Gärten hat der Mensch die Nahrungsgrundlagen der Vögel stark eingeschränkt.
  • Menschen freuen sich, wenn sie sehen, wie ihre ausgleichenden Fütterungsmaßnahmen von den Tieren angenommen werden.
  • Der anerkannte Ornithologe Prof. Peter Berthold weist auf Basis neuester wissenschaftlicher Forschungsergebnisse nach, dass eine ganzjährige, verantwortungsvoll durchgeführte Vogelfütterung einen wertvollen Beitrag zum Vogelschutz und zum Erhalt der Artenvielfalt leistet.
  • Der Schwerpunkt der Arbeit der Heinz-Sielmann-Stiftung liegt im Erhalt und der Wiederherstellung der natürlichen Lebensräume unserer Wildvögel. Vogelfütterung kann hierfür eine sinnvolle Ergänzung sein.

Ein besonders umstrittener Punkt ist, ob die Ganzjahresfütterung den Jungvögeln schadet. Dies ist laut Prof. Berthold nicht der Fall. Zum einen hätten die erwachsenen Vögel durch die Zufütterung auch im Frühjahr mehr Kraft für die Aufzucht der Jungen. Auch würden die Elternvögel ihren Nachwuchs nicht mit ungeeignetem Körnerfutter füttern, sondern trotzdem weiter Insekten als Futter zum Nest bringen.

Allerdings weist Prof. Berthold auch darauf hin, dass man zwischen Winterfutter und Sommerfutter unterscheiden sollte. Das übliche Winterfutter mit Sonnenblumenkernen, Getreidekörnern und Haferflocken sei nicht gut geeignet und werde oft auch im Sommer von den Vögeln verschmäht. Statt dessen sollte die Fütterung den natürlichen Gegebenheiten angepasst werden. Das bedeutet, dass mehr feine Sämereien gefüttert werden. Weiter gibt es spezielles Aufzuchtfutter, das in Zoofachgeschäften zu erhalten ist. Zudem kann man auch spezielle Weichfuttermischungen erwerben, die einen hohen Insektenanteil haben. Hier gilt, dass man sich am besten im Fachhandel beraten lässt.

Argumente gegen die Ganzjahresfütterung

Einen gänzlich anderen Ansatz als Prof. Dr. Berthold vertritt beispielsweise der NABU (Naturschutzbund Deutschland). Er steht einer Ganzjahresfütterung ablehnend gegenüber. Wenn, dann nur im Winter füttern, so der NABU.

Basierend auf dem grundlegenden Gedanken, ob man überhaupt noch eine Fütterung angesichts der immer milderen Winter in unseren Breitengraden braucht, spricht sich der NABU gegen die von Prof. Dr. Berthold in seinem Buch "Vögel füttern - aber richtig" vertretene Meinung der Ganzjahresfütterung aus.

Nach Angaben der Organisation werden mit dem zur Verfügung stellen von künstlichen Nahrungsquellen in Städten und Dörfern selten mehr als 10-15 Vogelarten erreicht (Quelle: NABU - Tipps für die Praxis).

Vor allem würden nur Meisen, Finken, Rotkehlchen und Amseln von einer Zufütterung profitieren, deren Arten gar keine Bestandsgefährdung aufweisen würden, sondern stabile und sogar wachsende Populationen vorweisen können. Ein „Wiederaufbau der Artenvielfalt“, also der sogenannten Biodiversität, liegt ihrer Ansicht nach, trotz einer ganzjährigen Fütterung, nicht vor. Ein Artenschutz sei also dementsprechend durch eine „Rundum-Versorgung“, von wenigen Ausnahmen wie dem Haussperling abgesehen, nicht gewährleistet.

Gegen die wissenschaftlichen Studien der Befürworter einer Ganzjahresfütterung aus England argumentiert der NABU, dass auch an Orten, an denen Vogelliebhaber das ganze Jahr fütternd tätig seien, ein Rückgang der Vogelarten nicht aufzuhalten sei. Der NABU sieht dabei nicht nur allein die Verfügbarkeit von Nahrung als einzige, wichtige Hilfestellung zum Artenschutz an, sondern verweist hier mehr auf den Erhalt von vielfältigen und gesunden Lebensräumen. Nahrungsmittelknappheit für Vögel lässt sich dem Naturschutzverband nach nicht allein durch künstlich geschaffene Nahrungsoptionen decken.

Der NABU spricht sich dementsprechend für eine Ursachenbekämpfung aus und fordert den Erhalt bzw. die Schaffung eines naturnahen und pestizidfreien Lebensraumes, für den jeder Gartenbesitzer selbst die Verantwortung durch die Wahl der Bepflanzung trägt. Außerdem ruft er als Alternative zum Zufüttern zum Engagement für Agrarumweltprogramme auf, die ein harmonisches Mensch-Vogel-Verhältnis im Ackerbau, möglichst ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, bieten. Ein intaktes Ökosystem müsse das Ziel sein.

Bedenken äußert der NABU vor allem, wenn ungeeignetes Futter bei der künstlichen Vogelfütterung zum Einsatz kommt. Hierdurch könnten die Jungvögel Schaden nehmen. Dies kann dann der Fall sein, wenn die Elternvögel ihre Jungvögel nur noch mit Vogelfutter, z.B. Körner und Samen füttern. Dieses Futter vertragen die Jungvögel noch nicht, die vielmehr mit Insekten gefüttern werden müssen, wodurch die Jungvögel das wichtige Einweiß und auch Flüssigkeit aufnehmen können. Mit Blick auf die Ausführungen oben zu der Sichtweise von Prof. Berthold gilt hier zumindest, dass man gerade zur Brutzeit der Vögel nicht unreflektiert irgend ein Futter verteilen sollte, sondern sich vor der Fütterung gerade im Frühjahr genau informiert.

Zudem sei nach Angaben des NABU kein wissenschaftlicher Nachweis erbracht, dass eine Zufütterung sich positiv oder negativ auf die Jungvögelpopulation auswirke.

Für den NABU ist die Ganzjahresfütterung der Aufbau einer Natur, „die mehr einem Zoologischen Garten mit stets gefüllten Futterbehältern gleicht“ und verweist auf die unzeitgemäße Herangehensweise an dieses Thema. Moderner Vogelschutz und ein Vorgehen gegen eine zunehmend naturfremde Umwelt sieht für den NABU anders, beispielsweise durch Flächen- und Strukturerhalt der Landschaft, aus.

Wie soll man es nun mit der Vogelfütterung halten?

Welcher Meinung man sich nun hinsichtlich der Ganzjahresfütterung anschließt, das kann nur jeder Leser und Vogelfreund selbst entscheiden. Sowohl „moralische Verpflichtung“ zur direkten Hilfe und damit zur Symptombehandlung durch eine Ganzjahresfütterung als auch nur eine eingeschränkte Fütterung zur Winterzeit sowie Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursache durch Erhaltung natürlichen Lebensraumes sind adäquate Mittel des Naturschutzes. Festhalten lässt sich zudem abschließend, dass, wenn man den wissenschaftlichen Studien aus England Glauben schenkt, man zumindest mit einer artgerechten(!) Fütterung nichts falsch machen kann. Wie immer gilt: Gut informiert zu sein, ist schon die halbe Miete!